TRICKI UND DER ROSA RITTER

XXL - LESEPROBE


Der Meister macht einen Vorschlag

Patricks Mutter steckte den Kopf ins Zimmer. „Tricki, ich kann nicht staubsaugen.“

„Ich spiele, ist alles aufgebaut.“ Patrick verschränkte die Arme vor der Brust.

Sie schob die Zimmertür weiter auf. Hinter der Tür rumpelte es.

Der rote Teppichboden war zwischen den Spielsachen kaum noch zu sehen. Lego, Cowboys und Krimskrams bildeten ein ganz neues Muster.

Hinter der Tür verstaubte eine baufällige Westernstadt. Auf den Regalen und dem Schreibtisch sammelten sich die wunderlichsten Dinge.

Eigentlich half nur noch ein großer Müllsack. „Das nennst du aufgebaut?“

Patrick zeigte auf einen Ritter. Es war die einzige Figur, die aufrecht stand. „Sir William reitet einsam durch die verwüstete Welt. Wenn er Freunde hätte, würden sie eine Burg bauen und ihre Ländereien ordnen.“

„Soso.“ Patricks Mutter unterdrückte ein Grinsen. Seit Monaten wünschte sich ihr Sohn eine Ritterburg und mehr Ritter. „Vielleicht könnte Sir Tricki zusammen mit Sir William mit dem Wiederaufbau der Ländereien beginnen?“

„Ach, Menno.“

„So geht das echt nicht weiter. Gleich heute Nachmittag räumen wir auf. Versprochen?“ Patricks Mutter hob ein T-Shirt auf. Ihr Blick wanderte hoch zur Lampe, an der eine Socke hing. „Wie kommt die denn da rauf?“

„Das ist eine Flugsocke.“

 

Kopfschüttelnd verließ sie den Raum.

Patricks Mutter lag auf dem Sofa und las Zeitung, als es am Fensterrahmen klopfte. Sie schlich zum geöffneten Fenster und entdeckte einen Zwerg im Blumenkasten.

„Guten Tag, ich heiße Alfonso Schnabelbreit“, grüßte er und putzte sich die Stiefel am

Blumenuntersetzer ab. „Darf ich eintreten?“

Er blickte der Mutter tief in die Augen und kletterte danach unaufgefordert ins Wohnzimmer.

Dort sah er sich prüfend um und machte es sich schlussendlich auf dem Couchtisch gemütlich. Dafür rollte er die Zeitung zu einer Sitzbank und lehnte sich an die Blumenvase.

„Alfonso Schnabelbreit“, murmelte die Mutter und plumpste rückwärts aufs Sofa.

„So heiße ich. Aber nenn mich den Meister, ist einfacher.“

„Den Meister“, wiederholte die Mutter perplex und zwickte sich.

Aber wirklich und wahrhaftig: Da saß ein Zwerg. Er trug nicht, wie man annehmen sollte, die typische Zwergenuniform. Keine grüne Hose und rotes Wams. Er hatte auch keinen langen weißen Bart und keine Zipfelmütze. Er steckte von Kopf bis Fuß in einer Motorradkluft. Sogar die Stiefel waren Motorradstiefel. Er war glattrasiert, hatte einen kleinen Ohrring in seinem rechten Ohrläppchen, und seine langen dunklen Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden. Das Einzige, was neben seiner Größe auffällig war, waren seine Ohren: Die waren spitz.

„Wenn du genug geguckt hast, können wir anfangen. Es ist sehr wichtig, sonst wäre ich nicht hier. Ich habe Klagen erhalten.“ Alfonso fuchtelte durch die Luft. „Von ganz oben.“

Die Mutter sah nach oben und konnte natürlich nur die Wohnzimmerlampe sehen.

„Es mussten schon zwei Traumfeen ins Krankenhaus, weil sie sich was gebrochen haben. So geht das nicht.“

„Traumfeen?“

Alfonso öffnete seufzend den Reißverschluss seiner Lederjacke. Er nestelte ein Päckchen Kaugummis aus der Innentasche und hielt es ihr vor die Nase. „Willst du einen?“

Die Mutter lehnte dankend ab. Kaugummis von Zwergen anzunehmen, die man nicht kannte, war keine gute Idee.

Der Zwerg zuckte mit den Schultern und schob sich einen Kaugummi in den Mund. „Nochmal zu den Unfällen der Traumfeen. Du kennst doch Traumfeen?“

Die Mutter schüttelte den Kopf. „Nie gehört.“

Alfonso schnaufte. „Traumfeen. Männlich, weiblich, divers.“ Er begann an seinen Fingern abzuzählen. „Es gibt Kreativ-Traumfeen, die denken sich die Träume aus. Entwickler-Traumfeen, die sind für die Ausstattung der Träume zuständig. Boten-Traumfeen, die bringen den Menschen die Träume … ach, ich könnte ewig so weiter aufzählen. Es ist eine riesige Branche.“ Alfonso Schnabelbreit fuchtelte bekräftigend mit den Händen und traf dabei eine Tulpe, die sich zu ihm herabbeugte. Mit einem missmutigen Ton wischte er den Blütenstaub von seiner Lederjacke und atmete tief durch. „Jedenfalls gibt es die Boten-Traumfeen, die dafür verantwortlich sind, dass die Träume zu den Schlafenden kommen.“

Bei der Mutter ratterte das Gehirn. Sie hatte angenommen, dass die Träume aus ihrer Fantasie stammten. Aus ihrem Erlebten. Das sollte alles von Kreativ-Traumfeen kommen?

„Um auf unser Problem zurückzukommen: Zwei Boten-Traumfeen haben sich bei der Durchquerung des Zimmers von“, Alfonso zog ein Papier aus der Innentasche seiner Jacke, „Patrick ernsthaft verletzt.“

„Das tut mir leid.“

„Das muss es nicht. Unfälle gehören zu den

Alltagsrisiken der Boten-Traumfeen. Allerdings

liegen zu viele Klagen über Patricks Zimmer vor. Darum hat man mich eingeschaltet.“

„Und was soll ich jetzt machen? Das Zimmer aufräumen?“

„Auf keinen Fall.“

„Soll ich Patrick zwingen, sein Zimmer aufzuräumen?“

Alfonso hob abwehrend die Hände. „Auch nicht. Ich lese hier“, er tippte auf den Zettel, „du bist eine sehr gutmütige Mutter.“ Alfonso sah von dem Schreiben auf und lächelte. „Ihr seid ein freundlicher und fantasievoller Haushalt.“

„Dankeschön“, sagte die Mutter und fühlte sich geschmeichelt. „Und was soll ich dann tun?“

„Jetzt kommen wir zum Punkt.“ Alfonso setzte sich in Positur und die Mutter spitzte ihre Ohren, da er auf einmal verschwörerisch flüsterte. „Ich bin auf eine Idee gekommen. Patrick könnte einen Job bei uns annehmen.“

„Er soll bei euch arbeiten?“

„Genau, er sollte den Boten-Traumfeen aushelfen. Zwei sind wegen ihm krankgeschrieben. Es bleibt viel Arbeit liegen. Er könnte es wiedergutmachen.“


 

Der Vertrag

„Patrick soll als Boten-Traumfee bei euch arbeiten? Und wie soll das gehen?“

„Das lass meine Sorge sein. Es wird ihm Spaß machen und es wird ihm nichts geschehen. Das verspreche ich dir.“

Die Mutter sah den Meister zweifelnd an. Wie sollte sie einem Zwerg in Lederkluft auch vertrauen können?

Alfonso Schnabelbreit grinste. „Es wird ihm sogar so gut gefallen, dass er danach immer wieder bei uns arbeiten möchte.“

„Das glaube ich nicht. Patrick ist ein lieber Junge, aber furchtbar faul.“

„Das ändert sich, wenn er erst bei uns war. Danach wird er eine völlig neue Einstellung zur Ordnung bekommen.“

„Patrick und Ordnung?“ Die Mutter lachte und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.

Ein eindeutiges Zeichen, wenn sie etwas ablehnte.

„Jetzt gib dir einen Ruck! Stell dir mal vor, wie schön es wäre, wenn dein Sohn immer ein ordentliches Zimmer hätte. Wenn du ihm nicht ständig mit dem gleichen Thema in den Ohren liegen müsstest.“

„Du klingst wie einer, der einem was verkaufen will“, rutschte es der Mutter heraus.

„Ich will dir gar nichts verkaufen. Es kostet dich kein Geld. Höchstens weniger Nerven. Das hebt die Qualität deines Lebens. Und deiner Träume“, setzte er noch listig hinterher.

Die Mutter zog die linke Augenbraue hoch. „Also, wenn ich darauf einginge, wie müsste ich mir das vorstellen? Holst du Patrick ab?“

„Nein nein. Patrick bleibt, wo er ist. Nur nachts, wenn er schläft, wird er arbeiten. Das heißt, er wird ganz normal in seinem Bett liegen und schlafen.“

„Und welche Nebenwirkungen gibt es?“

„Eigentlich keine.“ Alfonso Schnabelbreit rieb sich das Kinn. „Vielleicht wird er die ersten Tage etwas verträumt sein. Aber das gibt sich. Dann könnte es sein, dass er früher ins Bett gehen will. Einfach nur, weil er sich auf die Traumwelt freut.“

Die Mutter blieb misstrauisch. „Ich muss mir wirklich keine Sorgen machen? Es ist echt nicht gefährlich?“

„Nun“, murmelte der Meister und zog einen weiteren Zettel aus der Tasche. „Den hier müsstest du mir unterschreiben.“

Die Mutter nahm das Zettelchen zwischen Zeigefinger und Daumen. Die Schrift war miniklein. Sie konnte sie nicht lesen.

Sie legte den Zettel auf den Tisch. „Warte, ich hole mir eine Brille.“ Sie stand auf, da hielt er sie zurück.

„Ist nicht so wichtig.“ Er steckte den Zettel zurück in seine Lederjacke. „Ich verstehe, dass dir die Entscheidung unheimlich ist.“ Er kletterte über die Sofalehne zum Fensterbrett. „Nichts für ungut. Wir werden das anders klären. Ich muss mich jetzt verabschieden.“

Erstaunt bemerkte die Mutter, wie eilig er es auf einmal hatte.

Als er auf ihrer Augenhöhe stand, sah er ihr tief in die Augen. Ganz tief.

Die Mutter wurde auf dem Sofa wach. Ärgerlich stellte sie fest, dass sie beim Zeitunglesen eingeschlafen war. Aber warum lag dann ihre Zeitung zusammengefaltet auf dem Tisch?

 


Fahrt durch die Traumwelt

„Nach dem Abendessen räumen wir auf.“

Eine merkwürdige Stille breitete sich am Esstisch aus. Von Patrick, der normalerweise gern quasselte, war nichts zu hören. Die Mutter sah verwundert auf. War er etwa aufgestanden? Nein, da saß er, auch wenn sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Eigentlich sah sie nur seinen dunklen Wuschelkopf. Patrick hatte sich tief über seinen Kartoffelbrei gebeugt und schwieg.

„Das haben wir vorhin abgemacht, Tricki.“

„Das hast du abgemacht. Ich nicht“, sagte Patrick, aber es klang eher nach „Daf haf du abgemaft. If nif.“ Er hatte nämlich einen vollen Mund.

Zu Patricks Glück läutete nach dem Essen das

Telefon. Tante Rosi war am anderen Ende. Feixend überreichte er seiner Mutter den Hörer und trollte sich aus der Küche. Was jetzt kam, wusste er. Seine Mutter würde über eine Stunde am Hörer hängen und er musste nicht aufräumen.

Und so kam es auch. Er saß den halben Abend am Computer und seine Mutter telefonierte. Danach hatte sie rote Ohren.

„Entschuldige.“ Die Mutter seufzte. „Ich hoffe, dir war nicht langweilig.“

Patrick hatte kein Problem, ihr zu verzeihen. Sein Abend war angenehm faul gewesen. „Ging schon“, antwortete er und verzog gespielt wehleidig das Gesicht.

„Als Wiedergutmachung darfst du dir einen Film aussuchen.“

Sie sahen sich Patricks Lieblingsritterfilm an, dann ging er ins Bett. Er war mit dem Tag sehr zufrieden. Die Spielsachen, die auf seiner Schlafseite der Matratze lagen, schob er auf den Fußboden.

Danach kuschelte er sich in sein Kissen und war bald darauf eingeschlafen.


„Da bist du ja endlich, das hat ja Stunden gedauert.“

Patrick sah sich in der Dunkelheit um. Zuerst konnte er niemanden entdecken.

„Ich bin hier drüben, du Blindhuhn.“

Patricks Blick folgte der Stimme. Da sah er einen sehr kleinen Mann, der von Kopf bis Fuß in Leder gekleidet war. Dieser lehnte an einem Mini-Motorrad, das unter einer Laterne geparkt war.

Patrick trat einen Schritt auf ihn zu und staunte. Der Kleine trug Biker Boots. Echte Biker Boots! Solche wollte er auch schon immer haben.

Angeblich gab es solche Stiefel nicht in seiner Größe. Behauptete seine Mutter. Und jetzt trug dieses Männchen …

Aber halt mal, so klein war das Männchen gar nicht mehr. Je näher er ihm kam, desto größer wurde es. Oder wurde er selbst kleiner?

„Komm ruhig näher, Tricki. Ich beiße nicht.“

Der Mann und sein Motorrad wurden wirklich größer. Patrick trat noch einen Schritt vor, dann stand er vor einem ausgewachsenen Mann. Alles völlig normal. Das Motorrad war in der richtigen Größe. Der Mann auch. Patrick staunte.

„Genug geglotzt? Dann los.“

„Wohin denn?“

„Zu deinem Job. Du bist spät dran für den ersten Tag. Na ja, heute wirst du eh nur angemeldet. Steig auf.“ Der Motorradfahrer deutete auf sein Bike.

„Job? Ich weiß nichts von einem Job.“

„Egal.“ Der Mann schwang sich auf die Maschine und startete den Motor. Es knatterte gewaltig. „Ist alles geregelt.“

Patrick setzte sich hinter ihn und bekam feuchte Hände. Er hatte noch nie auf einem echten

Motorrad gesessen. In Computer-Rennspielen ja, aber in Wirklichkeit noch nie.

Der Mann drehte sich um. „Alles in Ordnung?“ Er ließ den Motor aufheulen. „Übrigens, ich heiße Alfonso Schnabelbreit. Aber man nennt mich den großen Meister. Willkommen in der Traumwelt.“

 

 

Sie fuhren ins Dunkle. Patrick konnte nichts erkennen, da Alfonso kein Licht einschaltete und es anscheinend auch nicht brauchte. Merkwürdigerweise hatte er keine Angst. Es fühlte sich alles ganz richtig und gut an. Aufregend, aber nicht gefährlich.

Er spitzte die Ohren, hörte aber nichts außer dem knatternden Motor. Er schnupperte, roch aber nichts außer dem Shampoo-Duft von Alfonsos Pferdeschwanz, der ihm um die Nase flog und ihn kitzelte.

Da erst fiel ihm auf, dass er keinen Motorradhelm trug. Jetzt klammerte er sich doch an Alfonsos Lederjacke fest und ihm wurde mulmig. Zwar konnte er es nicht sehen, aber der starke Fahrtwind sagte ihm, dass sie sehr schnell fuhren. Er wollte Alfonso gerade fragen, wie lange es noch dauerte, als er Lichter in der Ferne erblickte.

Die Lichter stammten von runden, fensterlosen Türmen. Es gab dicke Türme, dünne Türme, gerade Türme und auch ganz schiefe Türme. So schief, dass sich ihre Spitzen fast bis zum Boden neigten. Die Türme leuchteten in verschiedenen Farben und er hätte sie gerne genauer betrachtet, aber der große Meister fuhr zu schnell.

„Wir sind gleich da!“, rief Alfonso.

Patrick nickte, obwohl der große Meister das nicht sehen konnte. So eine wunderliche Stadt hatte er noch nie gesehen. Sie war wunderschön und doch unheimlich.

„Das sind die Traumtürme!“, brüllte Alfonso. „Hier werden die Träume produziert.“

Sie düsten weiter. Die Türme verschwanden so schnell, wie sie aufgetaucht waren.

Jetzt ging es steil bergauf und Patrick klammerte sich noch fester an die Lederjacke. Bald erreichten sie eine Hügelkuppe, und Alfonso bremste und ließ Patrick die Zeit, sich umzusehen.

„Das ist das Tal der Traumschlösser. Menschen haben sie errichtet“, erklärte Alfonso.

Patrick stand der Mund offen. So etwas gab es doch gar nicht! Ein Schloss reihte sich ans andere. Eine Burg stand neben der anderen.

Er hatte mal eine Burg im Urlaub besichtigt.

An einer Schlossführung hatte er auch schon mal teilgenommen. Das Schloss war einsam gelegen und hatte das gleichnamige Dorf überragt.

Aber diese Ansammlung von Gebäuden übertraf alles, was er je gesehen hatte.

Sie glitten nach unten. Alfonso lenkte seine Maschine langsam durch eine Schlossallee. So blieb Patrick genug Zeit, die Bauwerke genauer zu betrachten.

Manche Schlösser waren auf festen Fundamenten gebaut, andere standen auf wackeligen Beinen.

Auf einmal meinte er, dass er schwankte.

Erst nach einer Weile fiel ihm auf, dass nicht er es war, sondern die Gebäude.

Sie bebten, sie atmeten, sie lebten. Zu seinem Schreck stürzten ganze Türme ein. Gebäudeteile brachen weg und verschwanden im Nichts, bevor sie auf dem Boden auftrafen. Allerdings - und das war das Erstaunliche – ging das Ganze lautlos vonstatten.

Patrick hielt den Atem an und bekam es mit der Angst zu tun. Was, wenn so ein Turm auf sie niederstürzte?

Das Motorrad, das jetzt in Schrittgeschwindigkeit rollte, gab nur noch ein leises Brummen von sich. Alfonso drehte sich um und hielt einen Zeigefinger vor den Mund.

„Hier ist zwar noch nie etwas passiert, aber es ist besser, keinen Krach zu machen“, flüsterte er.

Patrick sah besorgt nach oben und wollte weg. Die Schlösser waren wunderschön, aber die Stadt war ihm nicht geheuer. Sein Herz schlug schneller und er bekam einen trockenen Mund.

Gerade wollte er Alfonso fragen, wie weit es noch wäre, als ein Turm neben ihnen einstürzte. Automatisch zog er den Kopf ein und sah bang nach oben. Die Steinbrocken, die im Sturzflug auf sie zuschossen, lösten sich einen Fingerbreit vor ihren Köpfen in Luft auf. Patrick spürte einen Windstoß, dann waren sie einfach weg. Das Einzige, was sie getroffen hatte, war ein wenig Staub.

„Lästig.“ Alfonso strich über seinen Motorradhelm. „Das kommt davon, wenn die Menschen ihre Traumschlösser ohne guten Grundstein bauen. Ein sinnvoller Traum steht sicher. Hat Fundament.“

Patrick staunte. Seiner Meinung nach waren sie knapp dem Tod entkommen, und Alfonso motzte, das wäre lästig? Und was meinte er mit Fundament?

 

 

 

Kurz danach hielten sie vor einem Gebäude, das aussah wie der Buckingham Palace in London. Fast erwartete er, die Königin von England aus einem der Fenster winken zu sehen. „Steig ab. Wir sind da.“

Patrick sah sich unsicher um.

Ihm zitterten noch die Knie wegen den einstürzenden Schlössern.

„Das ist unsere Zentrale“, erklärte Alfonso und winkte Patrick, ihm zu folgen. „Jetzt wirst du angemeldet, und dann sehen wir, was sie für einen Job für dich haben.“


Die Welt der Träume

Mit noch immer wackeligen Beinen stieg er hinter Alfonso die Treppe zu der gewaltigen Eingangstür hinauf. Er blieb vor ihr stehen und legte seinen Kopf in den Nacken.

„T-R-A-U-M …“

„Traumwelt WgfN“, half ihm der Meister.

„Was bedeutet WgfN?“

„Wir garantieren für Nichts.“ Alfonso öffnete die Tür und im gleichen Moment wurde es lebhaft. Patrick hätte noch gerne gefragt, was das jetzt wieder bedeutete, wurde aber von dem Anblick, der sich ihm bot, abgelenkt.

Sie mischten sich in das Treiben, ähnlich einer Fußgängerzone an Fasching. Patrick blieb dicht hinter Alfonso und staunte. Auf den ersten Blick wirkte alles wie in Papas Arbeit.

Angestellte mit Akten unter den Armen eilten an ihnen vorbei, verteilten sich auf Zimmer oder nahmen Treppenaufgänge, die nach nirgendwo zu führen schienen.

Dann bemerkte er den Unterschied. Die Gesichtsfarben der eiligen Gestalten wiesen alle Farben auf: fliederfarben, rosa, ganz dunkel und fast schwarz.

Und ihre Kleidung! Alle trugen lange weiße Gewänder, die in einer Art Schleppe endeten. Ein paar trugen zudem weiße Schürzen. Manche Schürzen sahen allerdings aus wie die, die er im Malunterricht umbinden musste.

„Die mit den Schürzen, das sind die Boten-Traumfeen“, holte Alfonso ihn aus seiner Betrachtung. Patrick hatte gar nicht bemerkt, dass Alfonso stehen geblieben war.

„Träume sind bunt und es gibt schreckliche Flecken, wenn eine Boten-Traumfee stolpert. Die Reinigungs-Traumfeen sind oft richtig sauer. Aber das wirst du gleich kennenlernen.“ Alfonso zog ihn weiter.

Tausend Fragen schossen durch Patricks Kopf, doch Alfonso drehte ihm den Rücken zu und klopfte wenig später an die Glasscheibe eines Schalters. Patrick spähte um Alfonso herum und erkannte eine Person in blauer Uniform.

„Ihr seid verdammt spät“, maulte der Beamte, der wie Alfonso spitze Ohren und ein helles Gesicht hatte. „Zimmer 15.“

Mürrisch schob er Alfonso einen Zettel zu, dann zog er grußlos die Vorhänge zu.

Alfonso gab Patrick das Zeichen, ihm zu folgen. Er wäre lieber noch stehen geblieben und hätte sich weiter umgesehen. Gerade fiel ihm nämlich auf, dass keiner sprach. Bis auf das Rascheln der Stoffe und Papiere war es völlig still. Keine Stimmen, nicht einmal Schritte waren zu vernehmen.

Nichts! – Doch!

Er vernahm seine eigenen Schritte auf dem schneeweißen Boden. Weil ihm das unangenehm war, schlich er auf Zehenspitzen hinter Alfonso her.

Dieser blieb stehen und schüttelte mit dem Kopf. „Kannst du nicht normal gehen? Wir sind doch nicht bei den Indianern.“

„Ich mache so einen Krach, das ist peinlich.“

„Das hört nach der Anmeldung auf. Zimmer 15.“ Alfonso grinste und marschierte zügig auf eine Art Aufzug zu. „Du musst dir einfach das Seil schnappen“, rief er ihm noch lässig über die Schulter zu und war weg.

Patrick blieb wie angewurzelt stehen. Hatte er etwas überhört? Was sollte er jetzt machen? Ohne Alfonso, den Meister? Er beobachtete, wie eine Traumfee neben ihm den Arm ausstreckte und ebenfalls im nächsten Augenblick verschwunden war. Aber wie und wohin? Und woher wusste denn der Aufzug, wo er aussteigen wollte?

„Und wie steige ich aus?“, brüllte Patrick Alfonso hinterher. Er bekam keine Antwort. Ganz im Gegenteil blickte er in lila Gesichter, die ihn belustigt anstarrten. Er hätte vor Scham im Boden versinken wollen. Das war so peinlich! Keiner sprach ein Wort, und er brüllte hier rum.

„Du musst an die Zimmernummer denken“, flüsterte eine rosa Traumfee und lächelte. Sie gab ihm einen leichten Schubs. „Keine Angst, dir passiert nichts.“

 

Patrick streckte zögerlich den Arm aus. Ergriff das Seil und dachte an Zimmernummer 15.

Ich hoffe Ihnen hat die Leseprobe gefallen und sie wollen Ihren Kindern  vorlesen, wie es weitergeht!

Aber Vorsicht - es könnte plötzlich furchtbar ordentlich in den Kinderzimmern werden ....