Aus genanntem Anlass, nämlich, dass Konrad von Kamm, der Ermittler meiner München-Krimis, heute Namenstag hat - wir schreiben den 26.11.2016 - möchte ich Euch, meinen lieben Fans, ein Geschenk machen.

Die Kurzgeschichte, die ihr hier lesen könnt, ist im nebenstehendem Buch bereits erschienen. Diese Anthologie beinhaltet neben meiner Geschichte, noch viele weitere tolle Erzählungen. Und wenn ihr es erwerbt, tut ihr sogar noch etwas Gutes -  Jedes verkaufte Exemplar unterstützt das Projekt "Respekt für Dich - Autorinnen gegen Gewalt".  Der gesamte Erlös geht nämlich an die Gewaltopferhilfe. Ich finde das eine prima Sache und würde mir wünschen, dass ganz viele Leute dieses Buch kaufen, verschenken, lesen ...

 

Aber jetzt zu meiner Geschichte. Man wird sich fragen, was hat das mit Konrad von Kamm zu tun? Nun, die Fans der Reihe wissen es - Konrad hat eine Mutter, Hildegard, die im Altenstift am Entenbach sitzt und ihn manchmal ziemlich nervt. Die liebe Frau von Kamm ist schon eine besondere Marke ...

Wie besonders, könnt ihr hier nachlesen!

Ich danke Euch für Eure Treue!

 

P.S. Schreibt mir doch, wenn ihr mögt, wie sie euch gefallen hat - ich habe nämlich vor, demnächst eine mörderische Kurzgeschichtensammlung herauszubringen und euer Feedback würde mich animieren, schneller zu arbeiten :)

Die Natur hilft sich selbst

Die Männer hatten ganze Arbeit geleistet. Eine Woche lang hatten die Gärtner gewirkt. Hildegard konnte sich kaum an den Blumenrabatten sattsehen. Ein Blumenmeer sollte es werden. Ihr Blick schweifte über ihr kleines Grundstück, liebkoste die zwei frisch getrimmten Buchsbäume. Einer war sogar in Herzform geschnitten! Wenn Erwin das sehen könnte.

Links von dem Buchs-Herz der kleine runde Gartenteich. Entleert und frisch eingelassen. Sogar der Springbrunnen funktionierte wieder. Er plätscherte fröhlich vor sich hin. Als Schulkind war sie gerne mit den Füßen in den Teich gestiegen und hatte ihre Bergmolche gezählt. Hildegard sah an ihren alten knöchernen Beinen hinab und seufzte. Das Geräusch der Türglocke ließ sie in ihrer Betrachtung innehalten und sie erhob sich aus ihrem Liegestuhl, nicht ohne dem Apfelbaum, den noch ihr Vater gepflanzt hatte, zuzunicken.

 

„Guten Tag Frau von Kamm. Erdmann. Langes Leben Versicherung, München.“ Herr Erdmann deutete eine Verbeugung an. Stahlblaue Willenskraft funkelte Hildegard durchs Kassengestell entgegen.

„Gehen Sie gleich durch.“ Hildegard wies ihrem Besucher den Weg. „Ich habe uns auf der Terrasse gedeckt. Wollen Sie Tee oder Kaffee?“

„Einen Kaffee, wenn es keine Umstände macht.“

„Ich bitte Sie.“ Hildegard verschwand in der Küche und bemerkte durch die offenstehende Tür, dass Erdmann durch ihr blitzblank geputztes Wohnzimmer Richtung Freisitz steuerte. Bei den Fotografien blieb er stehen. Es waren ältere Aufnahmen mit Gelbstich, die sie als Kind im Garten zeigten. Erdmann nahm eines der Fotos hoch und betrachtete es genauer. Hildegard nahm an, dass es sich um Erwins letztes Foto handelte. Erwins siebzigster Geburtstag. Schlank und agil auf der Terrasse mit seinem Kuchen, auf dem die Jahreszahl deutlich zu lesen war.

„Komme gleich“, rief Hildegard aus der Küche und hoffte, Erdmann damit von seinem Schnüffeln abzubringen. Freundlicherweise stellte er das Foto zurück und begab sich wirklich auf die Terrasse und ließ sich auf einem Gartenstuhl nieder.

Hildegard balancierte ein Tablett mit Apfelkuchen, Sahne und Kaffee nach draußen und freute sich, als Erdmann sogleich wieder aus seinem Stuhl sprang, um ihr dabei behilflich zu sein. Sie mochte gut erzogene junge Männer.

Ohne auf seinen Protest einzugehen, schaufelte sie ihm sogleich ein großzügiges Stück Kuchen auf den Teller und kredenzte es mit einer wohlmeinenden Portion Sahne. „Greifen Sie zu, Herr Erdmann, und lassen Sie es sich schmecken! Meine eigenen Äpfel, ungespritzt.“

Sie nahm sich selbst ein Stückchen und sah, wie Erdmann die Gabel, die er gerade noch zum Mund geführt hatte, sinken ließ. „Von besagtem Apfelbaum?“

„Ja, genau.“ Hildegard ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Schließlich können die Äpfel nichts dafür, oder was meinen Sie?“

„Natürlich nicht“, nuschelte Erdmann, dessen vollgefüllte Gabel doch noch den Mund gefunden hatte. „Köstlich.“ Er verzog die Stirn nachdenklich.

Hildegard strahlte. „Das freut mich! Seit Erwin gestorben ist, habe ich kaum noch Grund einen Kuchen zu backen. Mein Sohn hat selten Zeit, seitdem er zur Kriminalpolizei gegangen ist.“

Erdmann nickte und setzte sich in Position. Hildegard war klar, dass er jetzt gleich die gesammelten Fragen an sie losschießen würde, die er sich bereitgelegt hatte. Um ihn noch ein wenig aus dem Konzept zu bringen, ließ sie ihn erst gar nicht zu Wort kommen.

„Sie müssen hinterher unbedingt ein Stück mitnehmen. Was sage ich – zwei Stücke mitnehmen. Für sich und Ihre Frau. Sie sind doch verheiratet?“ Hildegard blickte auf seine linke Hand, mit der er unbeholfen die zierliche Porzellantasse zum Mund führte.

„Nein, ich hatte bisher nicht das Glück. Wie lange waren Sie und Ihr Mann verheiratet?“

„Fast dreißig Jahre.“

„Beneidenswert“, murmelte Erdmann. „Dann war die Ehe sicherlich glücklich.“

„Sie sollten es unbedingt selbst ausprobieren. So ein gutaussehender junger Mann wie Sie!“

Erdmann rutschte unbehaglich auf seinem Sitz. „Schön haben Sie es hier“, lenkte er vom Thema ab.

„Ja.“ Hildegard kuschelte sich in das Polster ihres Stuhls. „Jetzt wieder.“

Erdmann zog die linke Augenbraue fragend hoch. Doch da Hildegard keine Lust hatte auf diese nonverbale Frage zu antworten, versuchte er es anders. „Ein kleines Paradies.“

Hildegard beobachtete, wie er seinen Blick über ihre gestutzten Buchsbäume, ihre Blumenrabatten und ihren Springbrunnen gleiten ließ, und freute sich, dass sie sich nicht mehr zu schämen brauchte. Sie hatte alles in Blau und Weiß gehalten, einzig der orangenfarbene Fleck des Apfelbaums störte die ausgewogene Farbharmonie. Auch Erdmanns Blick war der orange Tupfer nicht entgangen, da er in die Richtung zeigte.

„War das der Ast?“ Erdmann räusperte sich. „Der Ast, der Ihrem Mann zum Verhängnis wurde?“

„Ja, genau. Der arme Erwin! Jeden Morgen hat er seine Klimmzüge an ihm gemacht. Natursport nannte er es.“ Hildegard seufzte und wartete auf die nächstliegende Frage, die nicht kam. Sie betrachtete einen Augenblick das Konterfei ihres Gegenübers, bevor sie weiterfuhr. „Wenn hier nicht so eine Wildnis geherrscht hätte, würde Erwin vielleicht noch leben.“

„Wie?“ Erdmann lehnte sich in seinem Stuhl vor und schob den Teller, den er zwischenzeitlich geleert hatte, zur Seite.

Hildegard konnte den Jagdinstinkt, der sich in ihm breitmachte, fast greifen. Es geht ihm um seine Prämie, entschuldigte sie ihr Gegenüber und verzieh ihm großzügig.

„Ich habe es gar nicht so schnell bemerkt, müssen Sie wissen.“ Hildegard trank einen Schluck Kaffee und genoss es, ihr Gegenüber zappeln zu lassen. „Der Erwin ist zu seinem Natursport gegangen, wie jeden Morgen. Ich war in der Küche und habe unser Frühstück vorbereitet. Irgendwann habe ich mich gewundert, wo er blieb. Ich bin ans Wohnzimmerfenster, um nachzusehen. Ich habe noch gedacht, dass er sich vielleicht mit einem unserer Nachbarn unterhielt. Das ist des Öfteren vorgekommen, weil die sich immer über die Äste aufgeregt haben, die über den Zaun gewachsen sind. Jedenfalls habe ich ihn nicht gesehen und habe den Frühstückstisch gedeckt.“ Hildegard, die es nicht mehr gewohnt war, so viel auf einmal zu sprechen, rang nach Luft. „Natürlich konnte ich ihn nicht sehen, weil er hinter all dem Gestrüpp verborgen war.“

„Gestrüpp?“ Erdmann machte sich zwischenzeitlich Notizen und sah von diesen auf, Richtung Apfelbaum. Sein Blick wanderte über den sorgsam gestutzten Rasen.

„Jahrelang habe ich Erwin bekniet, den Garten aufzuräumen. Ohne Erfolg. Einen Naturgarten hat er es genannt. Ein Heim für Insekten und Igel. Eine Oase inmitten der Stadt.“

„Sie meinen, der Garten sah zum damaligen Zeitpunkt nicht so aus wie jetzt?“

Hildegard schnaubte. „Äste und Laub unter allen Büschen und Bäumen. Keine freie Fläche von hier bis zum Zaun. Die Wiese stand im Sommer immer hüfthoch. Hin und wieder hat er im Herbst die Sense geholt. Aber nur, wenn ich ihm damit gedroht habe, nicht mehr zu kochen.“ Hildegard verzog das Gesicht. „Ich musste mich regelrecht zum Apfelbaum durchkämpfen, wenn Sie verstehen.“

„Und was wollten Sie am Apfelbaum?“ Erdmann sah sie prüfend an.

„Den Vögeln ihr Futter bringen, was sonst. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.“

Es war Erdmann anzusehen, dass Vogelhäuser nicht unbedingt zu seinem Interessengebiet gehörten.

„Unterschlupf für Tiere“, schimpfte Hildegard auf dem kurzen Weg zum Apfelbaum. „Ich habe es immer Faulheit genannt und tue es auch heute noch. Können Sie sich das vorstellen? Acht Mal mussten die Gärtner mitsamt ihrem Anhänger wiederkommen, bis sie alles aus dem Garten abtransportiert hatten. Acht Mal!“

„Dann nehme ich an, dass die Bäume ebenfalls nicht sachkundig überprüft wurden, oder getrimmt?“ Herr Erdmann klopfte gegen den Stamm des Apfelbaums.

„Das Einzige, was hier getrimmt wurde, war mein Mann mit seinen lächerlichen Klimmzügen.“ Hildegard rief sich zur Ruhe, als sie Erdmanns erschrockenes Gesicht auf ihren Ausruf sah.

„Von dem Engelchen“, sie zeigte auf die Springbrunnenfigur, „sah man teilweise nur noch das Köpfchen. Die Blumenrabatten, die schon meine Mutter angelegt hatte, waren von Unkraut überwuchert. Ich bin selbst erstaunt, wie viele Fingerhut überlebt haben.“

„Kaum zu glauben.“ Erdmann streckte seinen Arm nach oben und fuhr mit der Hand den orange versiegelten Baumstamm entlang.

„Ja, die Gärtner haben wirklich ganze Arbeit geleistet. Um noch einmal auf den Morgen zurückzukommen, an dem mein Erwin gestorben ist: Ich konnte doch nicht ahnen, dass er hinter all dem Gestrüpp mit dem Tod kämpft. Es wäre ein Blutgerinnsel im Kopf gewesen, hat mir der Arzt erklärt. Vielleicht hätte man ihm noch helfen können.“ Hildegard zeigte auf ein Vogelhaus, das auf einem niedrigen Ast angebracht war. „Das hat mein Vater mit mir gebastelt. Ich halte es hoch in Ehren und füttere meine Lieblinge jeden Tag.“

Erdmanns Blick streifte das Vogelhaus mit kaum so viel Interesse wie die orangenfarbene Stelle weiter oben am Baum. „War der Ast morsch? Es ist ein alter Baum.“

„Das weiß ich beim besten Willen nicht. Sicher, mein Vater hat den Baum gepflanzt. Aber ob der Ast morsch war, an dem Erwin jeden Tag geturnt hat, kann ich Ihnen nicht sagen. Der ganze Baum war mit Efeu bewachsen. Ich habe Erwin immer gesagt, dass der Efeu dem Baum noch die ganze Luft rauben wird, aber Erwin wollte davon nichts wissen.“

„War die Polizei da?“

„Wieso das denn? Es war ein Unfall.“ Hildegard musste die Empörung, die in ihr aufstieg, nicht spielen.

„Hat denn niemand überprüft, warum der Ast abgebrochen und Ihrem Mann auf den Kopf gefallen ist? Die Gärtner vielleicht?“

Hildegard schüttelte den Kopf und lächelte Erdmann entschuldigend an. „Die Gärtner haben den Ast noch hier am Grundstück gehäckselt, wie eigentlich alles. Sonst hätten sie noch ein paar Mal mehr fahren müssen, nehme ich an. Sie haben die Stelle versiegelt und nichts gesagt.

„Ja, dann.“ Erdmann wandte sich Richtung Terrasse. Hildegard konnte seinem Gesicht ansehen, dass es ihm nicht passte, was er von ihr gehört hatte, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr die Dokumente vorzulegen, die er vorbereitet aus seiner Aktentasche zog.

„Sie müssten mir bitte nur noch hier unterschreiben, dann dürfte der Auszahlung der Lebensversicherung Ihres Mannes nichts mehr im Weg stehen.“

Hildegard unterschrieb mit sicherer Hand und ließ es sich auch nicht nehmen, Erdmann noch bis vor die Haustür zu begleiten. Dort verabschiedete sie sich von ihm mit festem Händedruck.

 

Noch während Erdmann in sein Auto kletterte, zog sie ihr kleines Sägemesser aus der Kitteltasche, das sie immer mit sich führte, und exekutierte mit geübtem Handgriff einen Löwenzahn, der es gewagt hatte, sich zwischen den Bodenplatten anzusiedeln. Sie sah Erdmanns erstauntes Gesicht durch die Scheibe seines Wagens.

 

Die Natur hilft sich selbst, hat Erwin immer gesagt“, murmelte Hildegard und winkte Erdmann lächelnd hinterher. „Aber ich finde, manchmal kann man ein wenig nachhelfen.“